Die wiederentdeckte Frauengeschichte

Vergessene. Jüdinnen in Oberschlesien im Zuge der Emanzipation (19./20. Jahrhundert)

Eine kurz wiederentdeckte Herstory. Ein kurzer Überblick über Jüdinnen in Oberschlesien im Kontext der Frauenemanzipation an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert.

Das Leben der jüdischen Gemeinschaft in Schlesien unterlag lange Zeit strengen Regulierungen durch die preußischen Monarchen. Erst die Französische Revolution brachte gewisse Veränderungen. Seit 1789 begannen die Ideen von Gleichheit und Brüderlichkeit das europäische Bewusstsein zu prägen und trugen auch zur Entstehung der jüdischen Aufklärungsbewegung – der Haskala (Haskalah) – bei. Diese Strömung, beeinflusst von der europäischen Aufklärung, setzte sich für die Annahme aufklärerischer Ideale, die Integration in nichtjüdische Gesellschaften, die Verbesserung der weltlichen Bildung sowie für den Unterricht der hebräischen Sprache und der jüdischen Geschichte ein. Es ist jedoch wichtig zu bedenken, dass jüdische Frauen lange Zeit keine Nutznießerinnen dieser Bewegung waren.

Am 11. März 1812 erließ König Friedrich Wilhelm III. das sogenannte Emanzipationsedikt, das den Juden in Preußen Bürgerrechte verlieh und sie formal zu Staatsbürgern machte. Historisch gesehen stellte es sie jedoch nicht vollständig gleich, da es ihnen den Zugang zu den meisten öffentlichen und beamtenrechtlichen Ämtern verwehrte. Die volle politische Gleichstellung wurde erst Jahrzehnte später erreicht. Frauen besaßen weiterhin kein Wahlrecht, doch die Bedingungen für die Aufnahme in den Bürgerstand galten für alle: Man musste einen deutschen Familiennamen annehmen, die deutsche Sprache beherrschen und eine Genehmigung zur legalen Ausübung wirtschaftlicher Tätigkeit erhalten.

Nach dem Sturz Napoleons schuf der Wiener Kongress (1815) eine neue europäische Ordnung, die jedoch nationale, soziale und emanzipatorische Bestrebungen – ebenso wie die Rechte der Arbeiter und der Frauen – ignorierte. Frauen, die gerade erst begannen, bewusst für diese Rechte zu kämpfen.

Die Haskala in Schlesien ermöglichte eine freiere religiös-kulturelle Entwicklung. Die säkulare Bildung gewann zunehmend an Bedeutung – auch für Frauen. Jüdinnen aus höheren Gesellschaftsschichten integrierten sich schneller in das deutsche Umfeld, indem sie moderne Werte und Lebensgewohnheiten übernahmen. So war es auch in Gleiwitz.

Welchen Anteil an der „aufgeklärten“ Gemeinschaft stellten die Frauen? Fand sich in einer von hebräischsprachigen Männern – den Maskilim1 – dominierten Bewegung überhaupt ein Platz für Frauen, die Jiddisch, die „Muttersprache“, sprachen? Wurden sie zu den Diskussionen über die „jüdische Frage“ zugelassen? Nicht sofort. Die Maskilim sahen in der Haskala sowohl eine Gefahr der Akkulturation2 als auch eine Konkurrenz in den gebildeten Frauen.

Diese Bewegung entwickelte kein umfassendes Bildungsprogramm für Mädchen. Zwar wurden die Töchter auf preußische Schulen geschickt, doch man bedachte die Folgen kaum. Erst in der zweiten Generation der Maskilim lassen sich Veränderungen erkennen, die durch die säkulare, europäische Bildung der Frauen ausgelöst wurden. Die Mädchen lernten gemeinsam mit den Deutschen Rechnen, Geografie und Fremdsprachen – und ähnelten allmählich ihren nichtjüdischen Mitschülerinnen. Dennoch wurden sie weiterhin kritisiert: es ging dabei nicht so sehr um die Bildung der Frauen an sich, sondern um die jüdische Bildung. Man war der Ansicht, dass säkulare Erziehung das traditionelle Frauenbild und die jüdische Familie schwäche – und damit auch die jüdische Identität.

Andererseits war die sogenannte Frauenfrage an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert eines der zentralen Themen neuer intellektueller Strömungen, auch im Judentum. Die niedrige gesellschaftliche Stellung der Frau galt als Zeichen von Rückständigkeit. Obwohl sich die Anhänger der Haskala für den Status der Frauen interessierten, führte ihre ambivalente Haltung zu keinen tiefgreifenden Veränderungen.

Frauen in Deutschland, auch in Oberschlesien, erhielten das Wahlrecht während der Weimarer Republik – am 12. November 1918. Dennoch änderte dies nichts an der Tatsache, dass sie in Deutschland (und nicht nur dort) weiterhin als Bürgerinnen zweiter Klasse betrachtet wurden.

Genau dieses sozial und kulturell vielschichtige Bild jüdischer Frauen an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zeichnen die Biografien der damaligen Bewohnerinnen von Gleiwitz – unternehmerische, gebildete und öffentlich engagierte Frauen, die dennoch über Jahrzehnte hinweg in der Geschichte der Stadt unsichtbar geblieben sind.

Unter ihnen war Johanna Stein, die dreiunddreißig Jahre lang das Gleiwitzer Dampfsägewerk leitete – ein seltenes Beispiel einer erfolgreichen Frau in der von Männern dominierten Industriebranche.

Ebenfalls zu nennen ist Matylda Schwertner, Inhaberin des Hotels Vier Jahreszeiten in der Wilhelmstraße (heute ul. Zwycięstwa) – eines Ortes, der vom gesellschaftlichen und geschäftlichen Leben der Stadt pulsierte.

Ruscha Bermann, nach der Heirat Frau Kohn, führte die Familiengeschäfte im Zusammenhang mit dem Bierlager in der ul. Plebańska 8, die später ihr Ehemann Eugen Kohn übernahm.
Fedor Karpe hingegen – einer der bedeutendsten Gleiwitzer Unternehmer in der Wäsche- und Bettwarenbranche – verkörperte die Generation jüdischer Kaufleute, die mit Erfolg die lokale Textilindustrie aufbauten. Seine Ehefrau engagierte sich zugleich im karitativen Wirken der örtlichen jüdischen Gemeinde.

Ihre Schicksale – verstreut in Adressbüchern, Zeitungsanzeigen und Gemeindevermerken – zeigen nicht nur den Beitrag jüdischer Frauen zur Stadtentwicklung, sondern auch das Drama ihres Verschwindens. Von den meisten sind keine Gräber, Grabsteine oder Zeugnisse erhalten geblieben. Ihre Spuren finden sich in Namen, Adressen, Firmenschildern und Fragmenten von Erinnerungen.

Die unsichtbaren Geschichten der Gleiwitzer Jüdinnen sind eine Erzählung über eine Präsenz, die ausgelöscht wurde – und über die Notwendigkeit, sie wieder sichtbar zu machen.

Autorin: Dr. Małgorzata Tkacz-Janik, Verein „Szlakiem Kobiet“ („Auf den Spuren der Frauen“)

1 Maskil – Anhänger der Haskala, des sogenannten „fortschrittlichen Juden“.

2 Akkulturation ist ein dynamischer Prozess kultureller Übernahmen und Wandlungen, der entsteht, wenn verschiedene Kultursysteme aufeinandertreffen und miteinander interagieren.

Zum Inhalt springen