Die Arbeit der Genealog*innen

Die Arbeit von GenealogInnen wird von den einen mit dem Aufdecken von Familiengeheimnissen und von anderen mit langen in Archiven und vor dem Computer verbrachten Stunden assoziiert. In Wirklichkeit kombiniert man das eine mit dem anderen und es ist sicherlich kein typischer Job von acht bis sechzehn Uhr. Jeder Ahnenforscher (egal ob Profi oder Amateur) wird zugeben, dass man bei der Suche leicht die Zeit aus den Augen verliert und dass die Freude über die gefundenen Informationen und Dokumente für alle Mühen entschädigt.

Das Hauptziel des Genealogen ist es, einen Stammbaum zu erstellen, also zu den ältesten Generationen vorzudringen und auch Verwandte aus Seitenlinien zu identifizieren, falls dies gewünscht wird. Bei der Entdeckung von Familiengeschichten erfahren wir auch etwas über die Heimatgeschichte einer Ortschaft oder Region sowie über die Gepflogenheiten der jeweiligen Zeit. Der Umfang der Suche hängt andererseits immer von den Erwartungen und Bedarfen ab – so kann es sein, dass manche Menschen Informationen zur Familie nur von einer Seite her aufspüren möchten, oder dass es ihnen darum geht, eine geheimnisumwitterte Familienlegende zu bestätigen.

Detektivischer Spürsinn

Die Arbeit von Ahnenforschern kann an eine Detektivrecherche erinnern – sie umfasst die Befragung, Nachforschungen, die Überprüfung verschiedener Hinweise und die Aufdeckung neuer, oft überraschender Fakten. Hilfreich ist sicherlich die Fähigkeit, die richtigen Fragen zu stellen und die richtigen Hypothesen aufzustellen. Man muss in der Lage sein, Zusammenhänge zu erkennen, die eingeholten Informationen zu überprüfen und auf seine Intuition zu hören, die sich oft als unbezahlbar erweist. Wichtig sind auch Geschichtswissen, Vertrautheit mit einstigen Gepflogenheiten, Sprachkenntnisse (Deutsch, Polnisch, Russisch etc.), die Fähigkeit schwer leserliche alte Handschriften in diesen Sprachen und in Latein zu entschlüsseln. Zum Glück wird das Auge mit der Zeit geschulter, und jeder weitere Text bereitet immer geringere Schwierigkeiten.

Empathischer Zugang

Einfühlungsvermögen und Aufgeschlossenheit sind bei der Arbeit an Familiengeschichten unabdingbar. Manche Kunden versuchen, eine unangenehme Vergangenheit aufzudecken, mit der sie wahrscheinlich als erste in der Familie werden zurechtkommen müssen. Andere finden erst im Laufe der Recherche heikle Fakten heraus und müssen sich ihnen stellen. Für die meisten Menschen ist die Aufarbeitung der Familiengeschichte ein intimer Prozess, bei dem bestimmte Dinge zum ersten Mal laut ausgesprochen werden.

Daher ist es gut, einen sicheren Raum zu schaffen, die Daten privat zu halten und dem Gegenüber die Möglichkeit zu geben, sich zu öffnen. Manchmal ist eine zentrale Geschichte oder ein Teil des Lebens verdrängt und vergessen worden. Zum Glück können wir mit Geduld und richtig gestellten Fragen die Vorstellungskraft anregen und neue Antworten erhalten.

Die Arbeit mit der suchenden Person

Eine genealogische Recherche ist ein Prozess, der immer mit einem Gespräch, einem kurzen Interview mit dem Suchenden beginnt. Während des Gesprächs frage ich nach wichtigen Informationen wie Vor- und Nachnamen, Geburtsdaten und -orten und anderen zusätzlichen Fakten, die sich bei der Suche als entscheidend erweisen könnten. Das können Familienlegenden sein oder besondere Erinnerungen, zum Beispiel Details über das Aussehen des Elternhauses oder Beziehungen zwischen Familienmitgliedern, Informationen über einen vermissten Onkel oder eine Geschichte über verlorenes Eigentum.

In jedem Gerücht steckt ein Körnchen Wahrheit, und genauso können von Generation zu Generation weitergegebene Mythen, auch wenn sie nicht komplett wahr sind, bei der Spurensuche den Weg in die richtige Richtung weisen.

Sobald ich die Grundinformationen habe, erstelle ich den Umriss des Stammbaums. Ich verzeichne alle Daten auf einem Blatt Papier, um so die familiären Beziehungen besser erkennen zu können. Ich stelle Wohnort, Konfessions- und Gemeindezugehörigkeit der Familie fest und prüfe die Verfügbarkeit und den Erhaltungszustand der Dokumente.

Davon hängt der weitere Verlauf der Arbeit ab – ob ich mit online gestellten Scans arbeite, in die Archive gehe oder beides tue. Nach der Genehmigung des Arbeitsplans durch den Kunden beginne ich mit der Recherche. Ich arbeite normalerweise in mehreren Phasen. Im Laufe der Suche kann sich herausstellen, dass ein bestimmtes Jahrbuch fehlt, es Lücken in den Akten gibt oder die Vorfahren aus einer anderen Gemeinde zu ihrem späteren Wohnort zugewandert sind. Daher ist es am besten, mit der Methode kleiner Schritte zu arbeiten.

Die Recherche kann einen Monat dauern oder auch mehrere Jahre – je nach den Erwartungen sowie der Verfügbarkeit und dem Erhaltungszustand der Dokumente. Und die Ergebnisse können variieren. Jede Familiengeschichte ist einzigartig, daher kann man kaum schematisch vorgehen. Es ist auch nicht immer möglich, die genauen Ergebnisse vorherzusagen – manchmal wird das Ergebnis der Suche eine angenehme Überraschung sein, ein anderes Mal ein Schock. In einer Familie stoßen wir auf Vorfahren, die im 17. Jahrhundert gelebt haben, oder bestätigen eine vermutete adelige Herkunft. In einem anderen Fall erfahren wir von einem schrecklichen Unfall oder bleiben an einer Generation von Urgroßeltern hängen, wenn wir herausfinden, dass etwa ein Vorfahre einer unehelichen Verbindung entstammte.

Bei Beginn der Suche lohnt es sich, die Erwartungen los- und sich auf verschiedene Szenarien einzulassen.

Mit anderen Menschen arbeiten

Die Arbeit eines Genealogen (Ahnenforschers) besteht nicht nur darin, Dokumente zu sichten, Informationen zu analysieren und einen Stammbaum zu erstellen. Es ist in erster Linie der Kontakt mit einem anderen Menschen, Begegnung mit den Ahnen und Herstellung einer Beziehung zu ihnen. Wir entdecken ihre Namen, finden heraus, wie und wo sie lebten. Wir begleiten sie sowohl in freudigen Momenten, wie der Geburt eines lang ersehnten Kindes, als auch in Momenten des Grauens, wenn wir ihre Kriegsschicksale verfolgen. Es ist eine kreative Arbeit, bei der sich mit einem unverbrauchten Blick, Aufgeschlossenheit und Einfühlungsvermögen Wunder bewirken lassen. Genealogische Recherchen ermöglichen es uns nicht nur, herauszufinden, woher wir kommen und wie unsere Vorfahren hießen. Sie erlauben uns, die Geschichte eines Ortes kennenzulernen und die kulturelle Vielfalt des Landes zu spüren, während die Entdeckung von Familiengeheimnissen auch die Möglichkeit bietet, sich seinen eigenen Dämonen zu stellen.

Skip to content