GLEIWITZER- UND BAHNHOFSTRASSE SOWIE BOULEVARD

Wehranlage

Die Stadt Beuthen wurde an einer natürlichen Wehrstelle angelegt, d.h. auf einem kleinen Hügel, der um mehrere bis zu einem guten Dutzend Meter über die Umgebung herausragt und mit kleinen Wassersträngen umgeben ist. Am besten zeigt es das nummerische Geländemodell (siehe https://sitplan.um.Beuthen.pl/) oder wenn man vom Ring in Richtung der sich senkenden Straßen (z.B. Schiesshaus-, Krakauer-, Kaiser-, Gräupner-, Hospitalstraße und der Schwibbogengasse) sieht bzw. die Senke hinter der Ritter- oder Wallstraße beobachtet.

Nur vom Westen her, wo das Boulevard war, ist das Gelände flach oder ein wenig angehoben. Um die Verteidigungsmöglichkeiten an dieser Stelle zu verbessern, wurde hier die Stadtmauer verdoppelt (an den restlichen Seiten bestand die Wehranlage aus einer Mauer und einem Erdwall). Davor gab es breite Teiche. Die Wehranlage der Stadt bestand bis Anfang des 19. Jh. und ist noch auf den ältesten Stadtplänen Beuthens von 1749 (von Christian Friedrich von Wrede), 1788 (von Runschke) oder 1811 (von Schubert) zu sehen. Darin sehen wir auch drei Stadttore: ein an der östlichen Seite – genannt nach den Städten, zu denen es führte, als Slawkower- oder Krakauer-Tor bezeichnet, und zwei an der westlichen Stadtseite, Peiskretschamer- bzw. Tarnowitzer-Tor sowie Gleiwitzer-Tor genannt. Diese untypische Anordnung mit zwei nahezu benachbarten Toren geht wahrscheinlich auf die Stadtaufteilung in den Jahren 1369–1475 zurück. Zu jener Zeit hatte die Stadt zwei Herren und zwei unabhängige Stadträte, Bürgermeister und Rathäuser. Diese unabhängigen Tore erlaubten die Kontrolle der Einreisenden und die Mauterhebung von jedem Stadtteil separat, hatten jedoch das Abwehrsystem der Stadt geschwächt.

Gleiwitzer Vorstadt

Im 18. Jh. sollte das Gleiwitzer-Tor nicht mehr betrieben werden (Gramer, S. 258, erinnert sich, dass das Tor 1808 neu eröffnet wurde), hinter diesem Tor jedoch befand sich die Hauptvorstadt von Beuthen – die Gleiwitzer Vorstadt. Sie hatte einen landwirtschaftlichen Charakter, genauso wie der symmetrisch auf der gegenüberliegenden Seite gelegene Rossberg, wurde jedoch nicht von Bauern, Gärtnern und Häuslern bewohnt, sondern von Bürgern und Vorstädtern (die keine Häuser in der eigentlichen Stadt hatten). Noch auf dem Stadtplan vom 1828 sieht man, dass die gesamte Vorstadt aus Feldern und Höfen bestand und an ihrem Ende (von der jetzigen Bahnhofstraße Nr. 36 bis einschließlich dem Gelände des jetzigen Bahnhofs) ein großangelegtes Vorwerk des Pfarrers Stefan Nawroth lag. Diese Lage änderte sich kaum auch in den nächsten Jahrzehnten und das trotz derAufbaupläne der Eisenbahnstrecke durch Beuthen aus den Jahren 1845 und 1858. Erst 1858 wurde der neue Verlauf der Bahnhofstraße abgesteckt. Sie sollte die Gleiwitzer Vorstadt dort durchqueren, wo heute die Häuser Bahnhofstr. 31 und 32 stehen und der Bahnhof sollte etwas näher an den Stadtkern, zwischen der Hohenzollernstr.- und der Gymnasialstr., angelegt werden.

Bahnhofstraße

Der bauliche Aufschwung von Beuthen begann erst in den 60-er Jahren des 19. Jh. (s. Geschichte von Ring) und die ersten modernen Bürgerhäuser in der Gleiwitzer Vorstadt (jetzt Bahnhofstr. Nr. 9 und 18) wurden in 1869 erbaut. Damals hat der Querweg durch die Ackerfelder offiziell den Namen Gleiwitzer Straße bekommen. Sie fing beim Ring an und streifte durch den Boulevard und die Bahnhofstraße bis hinter dem Bahnhof zum Bahndamm. 1870 sind weitere Gebäude entstanden: jetzige Bahnhofstr. 4 und 6, und 1871 die Häuser Nr. 21 und 26. Die größte Veränderung brachte jedoch der (schließlich erfolgreiche) Aufbau der Bahnlinie 1872. Die Eisenbahn verkürzte und schloss diese Straße ab, dessen Abschnitt vom Boulevard bis zum Bahnhof funktionsgemäß als Bahnhofstraße bezeichnet wurde. Die periphere Vorstadt wurde in Kürze zum Handelszentrum der sich schnell entwickelnden Stadt. In 1872 wurden das Haus Nr. 33, 1873 die Hauser Nr. 28 und 30, und 1874 die Häuser Nr. 20, 35 und 37 erbaut. Die Eisenbahn hatte auch zur Entstehung von mehreren Hotels für die Stadtbesucher beigetragen: Sanssouci (später Kaiserhof an der Bahnhofstr. 16), Reichshof (später Europahof an der Bahnhofstr. 19) oder Schlesischer Hof gegenüber dem Bahnhof (Bahnhofstr. 37, 1945 abgerissen). Leider sind nicht viele Fotos der Bahnhofstr. aus dem 19. Jh. während ihrer heftigen Umbauphase erhalten geblieben. Eine der wenigen Ansichten (vom Boulevard aus gesehen) zeigt eine Mischung von kleinen eingeschossigen oder sogar erdgeschossigen Bauten sowie eine Reihe von neuerrichteten großstädtischen Bürgerhäusern.

Boulevard

Westlich der Stadt, hinter dem Tarnowitzer-Tor (das auch Peiskretschamer-Tor genannt wurde) und dem Gleiwitzer-Tor, gab es im 18. Jh. Teiche und unregelmäßige ländliche Bebauung. In 1832 wurde im zentralen Teil dieses Geländes – wie Gramer schreibt – der Bau des Garnisonsstalles (des 4. Eskadrons des 2. Ulanen-Regiments) für 154 Pferde zu Ende gebracht, dessen Kosten sich auf 13 728 Thaler 12 Groschen und 2 Pfennige beliefen. In 1857 wurde die Garnison nach Leobschütz verlegt und die Stadtverwaltung hat das Gelände nach dem Abbruch des Stalles neu bewirtschaftet und die Fluchtlinien abgesteckt. Die nördliche Fluchtlinie bildete die Verlängerung der Gleiwitzerstraße und die südliche Fluchtlinie die alten vorstädtischen Wege – so ist der bis heute bestehende Dreieckplatz entstanden. Während des erwähnten baulichen Aufschwungs der 60-er Jahre des 19. Jh. wurden hier das Hotel zur Post sowie großstädtische Bürgerhäuser errichtet – im Jahr 1866 die Häuser Nr. 5 und 7, und 1867 das Haus Nr. 6. Vor dem Aufbau der Eisenbahnstrecke gab es hier das Verkehrszentrum der Stadt mit Post und Haltestellen für die durch die Fuhrmänner bedienten Omnibusse, mit denen die nächste Bahnstation in Morgenroth erreicht werden konnte. Unter der Nr. 1 wurde das erste Handelshaus in Beuthen, das den Gebrüdern Barasch und später der Gesellschaft Woolworth Co. gehörte, erbaut. Um die Wende des 19. und 20. Jh. war es zweifellos der prächtigste und schönste Platz von Beuthen. Die im Jahr 1886 erbaute Kaiserliche Post, reich verzierte Häuser, ein Brunnen und Straßenbahnen (zuerst von Pferden gezogen und ab 1899 mit Elektroantrieb) waren das beliebteste Motiv der Fotos und Postkarten aus jener Zeit. Der Boulevard, wie der Platz gängig genannt wurde, war offiziell ein Teil der Gleiwitzerstraße und hat damals den Ring, der bis zu den ersten Jahren des 20. Jh. einen kleinstädtischen Charakter hatte, in den Schatten gestellt. In Kürze hat aber die Politik diese charmante Ansicht verschleiert. In 1914 wurde der Platz offiziell zum Kaiser Franz-Josef-Platz zur Ehre des mit Deutschland verbündeten Kaisers umbenannt und nach dem Sieg unter Tannenberg änderte man den Namen von Café Boulevard (die anstelle des inzwischen abgerissenen Postamtes errichtet wurde) in Café Hindenburg. Später kam es noch schlimmer – in den 30-er Jahren des 20. Jh. hat der Platz den Namen von Adolf Hitler bekommen und wurde zum Schauplatz von Demonstrationen der Nationalsozialisten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Josef Stalin zum Namensgeber und erst nach dessen Tod erhielt der Platz den Namen von Kościuszko. In den Jahren 1979–1980 wurde die gesamte nördliche Straßenfront, damals schon stark durch zahlreiche Umbauten entstellt, abgerissen.

Skip to content