KLEINFELD

Vor Ort, im sog. kleinen Felde…

In loco, dieto Małe Pole, possidet certos mansos agri et in loco, dieto Wielkie Pole, possidet magnam partem agri… – so schrieb 1665 der Gesandte des Krakauer Bischofs, der Priester Aleksander Maciej Rudzki, über die Bezüge der Marienkirche in Beuthen. Es ist eine der ältesten und uns bekannten urkundlichen Erwähnungen des hier zu beschreibenden Geländes. Nach dem Kontext des zitierten Fragments kann man davon ausgehen, dass die ursprüngliche gängige Benennung des kirchlichen Eigentums – kleines und großes Feld – zu den Eigennamen Kleinfeld und Großfeld führte und nicht nur die von der Kirche besessenen Ländereien, sondern auch die angrenzenden vorstädtischen Gebiete bezeichnete.

Fast 200 Jahre später, im Jahr 1863, hat der erste Chronist der Stadt, Franz Gramer, die die Stadt umgebenden Felder mit folgenden Worten beschrieben: Die Felder, welche einzelnen Bürgern zugehören und gewöhnlich nach dem hierorts üblichen Maße, Quart genannt werden, im Hypothekenbuche eingetragen werden, von denen jede 20 Morgen enthält, liegen: a. nördlich auf Scharlei zu im Paniower, b. dahinter im Bielczer Felde, c) an der Tarnowitzer Chaussee, rechts und links im großen Felde, d. an der Miechowitzer Chaussee, links im sogenannten kleinen Felde, e. zwischen der Gleiwitzer Vorstadt und dem Eisenbahn-Tunnel im Dengos-Felde und f. an der Chaussee nach Königshütte zu im Knefflikowskischen Felde. Das Feld Worpisko liegt an der Chaussee nach Miechowitz, links von der Theresien- und meist auf der Fläche der Apfelgrube.

Rechte-Oder-Ufer-Eisenbahn

Etwas früher, im Jahr 1851, wurde auf dem Gelände, das als Skotnica bezeichnet wurde (diese Bezeichnung bedeutet einen Weideplatz für Vieh), der evangelische Friedhof angelegt. 1868 erreichte die Rechte-Oder-Ufer-Eisenbahn die Stadt und trennte von ihr das westlich gelegene Kleinfeld. Beuthen verzeichnet zu dieser Zeit eine rapide Entwicklung. An den Stadträndern entstehen immer zahlreichere Villen, davon auch unmittelbar nach der Überführung der Rechte-Oder-Ufer-Eisenbahn im Kleinfeld. Die erste Villa baut hier der Transportunternehmer Carl Juszczyk (nicht mehr erhalten, einst in dem Quartier zwischen den Virchow-, Kant-, Fichte- und Johann-Georg-Straßen errichtet. Im Jahr 1873 werden daneben die Villa des Bergwerkverwalters August Liss (Virchowstr. 6) und 1876 die Villa des Maurermeisters Adolf Ritter (Hindenburgstr. 8) sowie 1879 die Villa und Brauerei von Ferdinand Herrmann (Hindenburgstr. 10) erbaut.

Sägewerk, Schlachthof und Krankenhaus

Nach der Brauerei entstehen im Kleinfelde noch weit größere Betriebsstätten. Sigismund Goldstein baute hier im Jahr 1882 ein Sägewerk (Humboldtstr. 1) und 1889 wurde der städtische Schlachthof angelegt. Den größten Impuls für den Ausbau dieses Stadtteils bildete jedoch die Verlegung des Knappschaftskrankenhauses aus der Stadtmitte (im Jahr 1889). Ursprünglich hatten hier alle Häuser (ausgenommen derjenigen bei der Miechowitzer Chaussee) eine allgemeine Adresse: Kleinfeld. Wenn aber neben dem Krankenhaus eine Straße mit einer gebundenen Häusergruppe errichtet wurde, wurde diese Straße ausgesondert und als Hospitalstraße bezeichnet. Diese Hauptader des Kleinfelds wurde später nach dem berühmten Pathologen, Anthropologen und Politiker Rudolf Virchow zur Virchowstraße umbenannt. Dieser gesamte Stadtteil wurde zum beliebten Wohn- und Niederlassungsort zahlreicher Ärzte: ihre Kliniken und Häuser haben hier u.a. der Gynäkologe Gotthard Schubert (Virchowstr. 2), Chirurg Wilhelm Danielsen (Hindenburgstr. 6), Sanitärrat Stanisław Koziol (Parkstr. 6) und Neurologe Felix Hayn (Hindenburgstr. 38) errichtet.

Kleinfeld in Erinnerungen

Die Entwicklung von Kleinfeld wurde vorerst durch dem Ersten Weltkrieg und die Aufstände in Oberschlesien gestoppt, um nach 1923 eine schnelle Beschleunigung zu verzeichnen. Damals wurden die Kant-, Fichte- und Humboldtstraße angelegt. Auf eine Art voller kindischer Faszination erinnert sich daran Max Ruben Gutmann: Als wir in das Haus einzogen, war nur die eine Seite der Kantstraße bebaut: die Nummern 2, 4 und 6. Hinter Nummer 6 hörte die Straße auf: da stand ein hoher Zaun, hinter dem sich der Lagerplatz der „Oberschlesischen Holzindustrie“ befand. Die Häuser auf der gegenüber liegenden Straßenseite entstanden dann in verhältnismäßig kurzer Zeit. Vom Fenster meines Zimmers – und bei gutem Wetter vom Balkon – aus konnte ich den Bau des Hauses Kant- Ecke Virchowstraße am besten beobachten, wobei bei diesem Haus der Eingang von der Virchowstraße war. Da sah ich, wie die Bauarbeiter Ziegel in einer Hucke und Mörtel in einem „Vogel“ die Leitern hinauf schleppten, wie man unten mit langen Stangen Kalk und Sand zu Mörtel vermischte, mit einem Worte: wie die meiste Arbeit mit Menschenkraft anstatt Maschinenkraft verrichtet wurde. Gegen Mittag erschienen dann die Frauen oder Mütter der Arbeiter mit blauen, roten oder grünen Kochgeschirren, Menagen, vielstöckig, und brachten den Männern das Essen. Manche packten bloß die mitgebrachten Stullen aus und labten sich mit einem Schluck aus dem als Becher oder Tasse dienenden Deckel einer emaillierten Kanne, hier und da möglicherweise auch mit einem kräftigen Zug aus einer Bierflasche.

Weitere Entwicklung von Kleinfeld

Der Stadtteil entwickelte sich hauptsächlich in westlicher Richtung, auf den bisher unbebauten Feldern, hinter der Ludendorfstraße. Zu jener Zeit sind zahlreiche Villen und Mehrfamilienhäuser im Stile des Expressionismus, Funktionalismus und Modernismus entstanden. In 1928 wurde die Sporthalle des Vereins Vorwärts an der Holteistraße in die Herz-Jesu-Kirche umgebaut. W 1931 wurde die Beuthener Strecke der Rechte-Oder-Ufer-Eisenbahn vollständig stillgelegt, wodurch der Bahndamm beseitigt und die Stadtmitte mit dem Kleinfeld verkehrstechnisch verbunden werden konnte. In den Jahren 1935–1936 wurde die Grundschule (Wermundstr. 9) erbaut, deren Übungssaal von den (nicht mehr erhaltenen) Skulpturen von Rosemarie Pluta-Mende verziert wurde. Dabei soll noch erwähnt werden, dass im Kleinfeld der Bildhauer Walter Tuckermann, Autor eines die Arbeit der Bergmänner darstellenden Reliefzyklus in der Kleinfeldstraße, wohnte und arbeitete.

Skip to content