Bewegliche Grenzen und schwebende Identitäten

Bis 1918 gehörten Großpolen, Oberschlesien, Pommerellen (Westpreußen) sowie Ermland und Masuren (Ostpreußen) zum Deutschen Kaiserreich. In diesen Grenzregionen entwickelten sich parallel die deutsche und die polnische nationale Identität, die sich nicht selten gegenseitig durchdrangen oder auch im Konkurrenzverhältnis standen. Oberschlesier, Kaschuben, Masuren und Ermländer identifizierten sich entweder mit dem Deutschtum oder mit dem Polentum oder entwickelten gar eine eigene regionale Identität.

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wurden einige dieser Gebiete Teil Polens (Großpolen, Pommerellen ohne Danzig, teilweise Oberschlesien), andere dagegen blieben innerhalb der Grenzen Deutschlands. In der Zwischenkriegszeit betrieben beide Staaten in ihrem jeweiligen Grenzland eine intensive Polonisierungs- bzw. Germanisierungspolitik. Die junge Generation, die vor 1939 in den polnisch gewordenen Gebieten aufwuchs, sprach anders als ihre Eltern kein Deutsch mehr. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurden die Gebiete (Großpolen, Pommerellen, polnischer Teil Oberschlesiens), die nach dem Ersten Weltkrieg Polen zugesprochen worden waren, wieder an Deutschland angeschlossen. Je nach Region behandelte das Regime des Dritten Reiches die Bevölkerung unterschiedlich. In einigen von ihnen wurde sie schikaniert, in anderen wurde dagegen versucht, sie für Deutschland zu gewinnen. Eines der Elemente dieser Politik war es, die in den angegliederten Gebieten lebenden ehemaligen Bürger der Zweiten Polnischen Republik, so wie die Reichsbürger, in die deutsche Wehrmacht einberufen.

Eine Kindheit im Grenzland

Die Kindheit der Jungen, die in den 1920er Jahren geboren wurden, beeinflusste der kurz zuvor beendete Erste Weltkrieg (1914–1918). Viele Väter hatten als Soldaten an dem Krieg teilgenommen. Ihre älteren Geschwister oder Eltern starben nicht selten infolge der seit 1918 grassierenden Pandemie der Spanischen Grippe oder anderer Krankheiten. Nach 1929 wurde das Leben zahlreicher Familien von der Weltwirtschaftskrise überschattet: Unzählige Menschen verloren ihre Arbeit und waren gezwungen, ihren Lohn mit Saisonarbeiten zu verdienen.

Die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation in der Mitte der 1930er Jahre verlief zeitgleich mit der Machtübernahme durch Adolf Hitler. In Polen waren die Ausmaße der Krise noch bis in die zweite Hälfte der 30er Jahre spürbar.

Im Dritten Reich wurde die Jugenderziehung allmählich der nationalsozialistischen Ideologie unterstellt. Jungen im Alter von zehn bis 18 Jahren gehörten der Hitlerjugend an, einer Organisation, in der ihnen beigebracht wurde, wie man sein Leben für das Reich und den Führer opfern sollte. Die jungen Bürger des Deutschen Reiches wuchsen im Schatten eines totalitären Systems auf, das immer mehr Lebensbereiche betraf. In Polen wurden wiederum die Pfadfinderorganisation (Harcerstwo), Turnvereine und in Polnisch-Oberschlesien auch der Bund Junger Aufständischer gefördert.

Der Kriegsausbruch

Der deutsche Überfall auf Polen am 1. September 1939 brannte sich tief ins Gedächtnis der Einwohner des polnischen Pommerellen und des polnischen Teiles von Oberschlesien ein. Für viele von ihnen begann der Krieg mit einer organisierten Evakuierung oder einer spontanen Flucht vor der anrückenden deutschen Wehrmacht. Die meisten Flüchtlinge kehrten bereits nach wenigen Tagen in ihre Heimat zurück, wo sie inzwischen eine neue Realität unter deutscher Besatzung erwartete. Nach der Niederlage Polens mussten viele junge Menschen ihre Schule unterbrechen, eine Arbeit aufnehmen und die für sie bisher unbekannte deutsche Sprache erlernen. Von einem auf den anderen Tag mussten sie erwachsen werden.

Auf der deutschen Seite machte sich der heranziehende Krieg in erster Linie durch Mobilisierung, die Konzentration der Streitkräfte an der polnischen Grenze und die auf beiden Seiten spürbare Spannung bemerkbar. Die Aufhebung der Grenze und der Anschluss Ostoberschlesiens und Pommerellens an Deutschland wurden als „Rückkehr der jahrhundertealten deutschen Gebiete ins tausendjährige Reich“ dargestellt.

Ruth Nikisz, Sacken/Lubienia

- 1939 Deutschland

Wir ahnten nicht, dass ein Krieg bevorsteht. Nur mein älterer Bruder bekam nach der Mobilmachung die Einberufung. Zuerst wurden nämlich diejenigen einberufen, die (wie er) ihren Wehrdienst bereits hinter sich hatten. Es gab die Mobilmachung, also musste er sich melden. Mein Bruder hatte jedoch infolge eines Arbeitsunfalls ein Bein verloren und musste daher nicht zum Militär. Einen Tag später, am 1. September, waren wir zum Kartoffelhacken auf dem Feld. Auf einmal sahen wir über uns Flugzeuge. So haben wir erfahren, dass der Krieg ausgebrochen war, denn einen Radioempfänger besaßen wir nicht. Wir waren Kinder, wer von uns dachte schon an Krieg? Wir hatten andere Dinge im Kopf, wollten Spaß haben. Erst später bekam man den Krieg zu spüren. Über Jahre mangelte es an allem.

Artur Furman, Kochlowitz/Kochłowice

– 1939 Polen

Da kam ein Mann und sagte, man solle die Flucht antreten, weil die Deutschen kämen. Die Menschen packten zusammen, was sie nur konnten. Mit Federbetten auf dem Rücken flohen alle in Richtung Kattowitz. Wir kamen bis Janow bei Kattowitz. Dort blieben wir zwei Tage. Danach sagte mein Opa: „Das reicht, wir gehen zurück!“ Daraufhin haben wir den Heimweg angetreten. Wir waren drei Kinder: ich – damals 14 Jahre alt, mein 15-jähriger Bruder und meine 13-jährige Schwester. In Bugla, an der Chaussee in Richtung Kochlowitz, standen vier SS-Männer und kontrollierten alle, die vorbeizogen. Auch mich und meinen Bruder haben sie kontrolliert, meine Schwester dagegen nicht. Als sie uns passieren ließen, musste ich tief durchatmen, denn meine Schwester trug alle Dokumente meines Vaters aus der Zeit, als er Aufständischer war, sowie alle seine Auszeichnungen bei sich. Wäre meine Schwester durchsucht worden, hätten sie uns bestimmt gleich erschossen.

Alfons Wieczorek erwähnt die deutsche Vorbereitungen für den Krieg in Ermland

Franciszek Gończ aus Pommern über die Flucht von Zivilisten zum Zeitpunkt des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs

Nationalitätenpolitik des Dritten Reiches

Die Einberufung zur Wehrmacht erfolgte auf Grundlage des Gesetzes über die allgemeine Wehrpflicht von 1935. Gemäß dem Wortlaut des Gesetzes durften ausschließlich reinrassige deutsche Staatsangehörige in die deutsche Armee eingezogen werden. Als solche galten alle Einwohner des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1938, die ihre „arische Abstammung“ (keine jüdischen Vorfahren) nachweisen konnten. Ein gewisses Problem tauchte bei den Einwohnern der angeschlossenen Gebiete auf, die nicht selten im polnischen Staat geboren und aufgewachsen waren. Mithilfe einer polizeilichen Bevölkerungserfassung wollte die deutsche Verwaltung die Einwohner dieser Gebiete hinsichtlich ihrer deutschen Volkszugehörigkeit klassifizieren.

1940 wurde in den vom Reich annektierten Gebieten eine provisorische Bevölkerungserfassung, die sogenannte „Palcówka“, durchgeführt. Mit dieser Maßnahme wollte sich die deutsche Verwaltung Klarheit in der Frage der nationalen Zugehörigkeit der Einwohner verschaffen und eventuelle Wehrpflichtige registrieren. Als „Palcówka“ bezeichnete man auch eine Art Personalausweis. Der Name kam von „palec“ (poln. Finger) und bezog sich auf den Fingerabdruck, der das Lichtbild ersetzte. Wer sich offen zur polnischen Nationalität bekannte, musste mit Repressalien und der Aussiedlung rechnen. Nach Durchführung der Bevölkerungserfassung wurden etwa 860.000 Polen ins Generalgouvernement (also in die vom Dritten Reich besetzten zentralpolnischen Gebiete) ausgesiedelt.

Um die Volkszugehörigkeit der Bevölkerung eindeutig festzustellen, wurde 1941 die sogenannte Deutsche Volksliste (DVL) eingeführt. Sie umfasste vier „Abteilungen“. In die erste und zweite Abteilung wurden Angehörige der deutschen Minderheit eingetragen, die während der Zwischenkriegszeit in Polen gelebt hatten. Dies war gleichbedeutend mit dem vorbehaltlosen Erhalt der deutschen Staatsbürgerschaft. Zahlenmäßig am umfangreichsten war die dritte Abteilung, zu der polonisierte Deutschstämmige, Personen mit polnischen Ehepartnern sowie sogenannte Schlonsaken (Schlesier) und Kaschuben, die als getrennte Volksgruppen eingestuft wurden, zählten. Anfangs wurde ihnen eine begrenzte deutsche Staatsbürgerschaft verliehen. Ab 1942 bekamen sie die deutsche Staatsangehörigkeit für einen Zeitraum von zehn Jahren auf Widerruf. In die vierte Abteilung der Deutschen Volksliste wurden Personen eingetragen, die als polonisierte Deutschstämmige galten und in der Zwischenkriegszeit mit den polnischen Behörden aktiv zusammengearbeitet hatten. Nur in Ausnahmefällen verlieh man ihnen eine begrenzte deutsche Staatsbürgerschaft. Zu den wichtigsten Pflichten der Angehörigen der Abteilungen 1 und 2, aber auch derjenigen der Abteilung 3, gehörte der Dienst in der Wehrmacht.

In den ehemaligen polnischen Woiwodschaften Pommerellen und Schlesien war das Ausfüllen eines DVL-Antrags obligatorisch. Wer sich dagegen verwehrte, musste mit Schikanen rechnen, einschließlich der Internierung in einem Konzentrationslager. Über die Eintragung in die entsprechende Abteilung entschieden jedoch nicht die Antragsteller, sondern die deutschen Behörden. Insgesamt wurden mehr als drei Millionen Menschen in die Deutsche Volksliste aufgenommen, von denen knapp zwei Millionen, vor allem aus der Provinz Oberschlesien und dem Reichsgau Danzig-Westpreußen, in die Abteilung 3 eingetragen wurden.

Je nach Region und den dort Macht ausübenden Vertretern der NSDAP, nahm die Nationalität-Politik des Dritten Reiches eine entsprechend unterschiedliche Gestalt an. Damit erklärt sich, warum in Oberschlesien und Pommerellen so viele Menschen einen Volkslistenausweis besaßen und im Warthegau relativ wenige Bürger in die DVL aufgenommen wurden.

Einberufung

Die Bevölkerung Ostoberschlesiens und Pommerellens nahm gegenüber der deutschen Politik unterschiedliche Haltungen ein. Die meisten Menschen versuchten, sich an die Realität der Besatzung anzupassen, ohne sich allzu sehr zu engagieren, aber auch ohne eindeutig Distanz zu ihr zu halten. Einige beschlossen – auch nach der Einberufung zur Wehrmacht – an ihrer polnischen Gesinnung festzuhalten. Sie riskierten damit Repressalien, einschließlich einer Verhaftung und Internierung im Konzentrationslager Auschwitz oder Stutthof. Andere unterstützten wiederum offen das nationalsozialistische Regime. Auch bei Personen deutscher Identität und jenen, die bereits vor 1939 im Dritten Reich lebten, traten im Laufe der Kriegsjahre Unsicherheit und Vorsicht an die Stelle der anfänglichen Zufriedenheit und des Eifers.

Zur deutschen Wehrmacht wurden alle männlichen deutschen Staatsangehörigen aus Gebieten des Dritten Reichs eingezogen und alle männlichen Personen aus den angeschlossenen Gebieten, die in die Abteilungen 1, 2 oder 3 der Deutschen Volksliste eingetragen worden waren. Manchmal wurden jedoch auch Menschen einberufen, die selbst oder deren Eltern in die Abteilung 4 eingetragen worden waren.

Edeltraut Haltof von Tost in Oberschlesien über den Arbeitsdienst

Gerhard Ogiermann aus Pilchowice in Oberschlesien über den Deutschen Arbeitsdienst

Die Wehrmacht und der totale Krieg

Während des Zweiten Weltkrieges war die deutsche Wehrmacht der nationalsozialistischen Ideologie unterworfen und nicht selten in die Umsetzung verbrecherischer Ziele des Dritten Reiches, einschließlich des Holocaust, eingespannt. Die Wehrmacht war eine Armee „neuen Typs“ und Bestandteil der ideologischen Kriegführung. Die Soldaten waren der nationalsozialistischen Propaganda ausgesetzt. Zudem wurden sie, vor allem im Osten Europas, für Aufgaben eingesetzt, die gegen die Zivilbevölkerung gerichtet und ansonsten in der Regel für die SS „reserviert“ waren (z. B. Razzien, Deportationen, Erschießungen, Sexualverbrechen).

Andererseits ging die Opposition gegen Hitler, die das Attentat vom 20. Juli 1944 verübte, in erster Linie aus den Reihen der Wehrmachtsoffiziere hervor (vor allem der aus dem Adel stammenden, etwa der Mitglieder des sogenannten Kreisauer Kreises). Abneigung und Widerstand gegen Hitler verbreiteten sich vor allem in der letzten Kriegsphase auch unter einfachen Soldaten (nicht nur unter den polnischen Wehrmachtsangehörigen). Zu einer offenen Revolte ist es jedoch nie gekommen. Während des Zweiten Weltkrieges dienten nicht nur Polen, sondern auch Vertreter anderer vom Dritten Reich unterworfener Völker in der deutschen Wehrmacht (unter anderem Franzosen, Belgier, Dänen, Litauer, Tschechen und Slowenen).

Verschiedene Facetten des Wehrdienstes

Soldaten aus Pommerellen, Ostpreußen und Oberschlesien dienten praktisch in allen militärischen Formationen: bei der Infanterie, der Kriegsmarine und der Luftwaffe. Nach einer mehrere Wochen dauernden Grundausbildung in ihren jeweiligen Einheiten in Deutschland oder Frankreich wurden sie zum direkten Dienst abkommandiert. Zusätzliche Schulungen oder Kurse (Fahrschule, Funker- oder Pionierschulung) konnten die Verlegung an die Front um einige weitere Monate verzögern. In der letzten Kriegsphase wurde die militärische Grundausbildung für die 17-jährigen Rekruten (Jahrgänge 1927 und 1928) auf ein Minimum reduziert.

Der Kriegsdienst hatte verschiedene Facetten. Bessere Überlebenschancen hatten Fahrer, Wachleute sowie das Flugplatz- und Hafenpersonal. Schlechtere Karten hatten dagegen Soldaten der Infanterie, die direkt an der Front kämpften, Panzergrenadiere, Kriegsschiff- und U-Bootbesatzungen. Ein Soldat mit zwei- oder dreijähriger Dienstzeit hatte bereits umfangreiche Fronterfahrungen gesammelt, war in unterschiedlichen Formationen eingesetzt und kannte mehrere Dienstformen.

Der Unterschied zwischen den Rekruten aus dem Reichsgebiet in den Grenzen bis zum Kriegsausbruch 1939 und jenen aus den annektierten Gebieten (die zumeist in die DVL-Abteilung 3 eingetragen waren) bestand nicht nur darin, dass die letzteren ein schlechteres Deutsch sprachen. Sie wurden auch seltener befördert und brachten es nur vereinzelt zu einem höheren Dienstgrad als Unteroffizier (Obergefreiter oder Feldwebel).

Henryk Jaksik aus Tarnowskie Góry in Oberschlesien erinnert sich an seine ersten Momente in der Kaserne

Alltag in der Armee

Vor der Verlegung an die Front fand die militärische Grundausbildung in der Regel in Westeuropa statt. In ihrer Freigängen durften die Soldaten Stadtbesichtigungen an ihren Stationierungsorten unternehmen, u. a. in Paris, Amsterdam und Brüssel. Viele von ihnen dienten später in Norwegen, auf dem Balkan, den griechischen Inseln und in Nordafrika. Manchmal bezogen sie Quartiere in Privatwohnungen. So entwickelten sich nähere Bekanntschaften und auch feste Beziehungen mit Frauen.

Ein Aufenthalt in Westeuropa bot die Gelegenheit, in Kantinen oder auf dem Schwarzmarkt einzukaufen. Meistens kauften die Soldaten Waren, die im Reich reglementiert waren: Bonbons und Schokolade sowie Kleidung und Kosmetika. Die Waren schickte man dann nach Hause. Sehnsüchtig wurde die Urlaubszeit erwartet. Aus Angst, die Soldaten könnten desertieren oder Kontakt zur Widerstandsbewegung aufnehmen, galten für sie bestimmte Einschränkungen. Zum Beispiel durften uniformierte Soldaten im Militärbezirk Pommerellen weder die polnische Sprache gebrauchen noch an Gottesdiensten teilnehmen, die von polnischen Geistlichen zelebriert wurden. Bedingt durch die Frontlage veränderte sich der Alltag der Soldaten. Je mehr Niederlagen die Wehrmacht hinnehmen musste, desto schlechter war die Nahrungsversorgung und desto seltener die Kontakte mit der Familie.

Kontakt mit der Familie

Der Dienst in der Wehrmacht bedeutete den Abschied von der Familie, mit der man dann vor allem Briefkontakt unterhielt. Man schickte aktuelle Bilder, Postkarten, manchmal auch Geld nach Hause. Die Briefe der Soldaten wurden selbstverständlich zensiert, jedoch geschah dies aufgrund der hohen Zahl der Briefe nur stichprobenartig. Inhalte, die nach Auffassung des Zensors nicht erlaubt waren, wurden aus den Briefen einfach herausgeschnitten. Die auf diese Weise „gesäuberten“ Briefe wurden dann wieder in den Umschlag gelegt.

Viele Soldaten, die im polnischen Staat aufgewachsen waren und dort ihre Schulbildung erhalten hatten, beherrschten Deutsch nicht so gut, als dass sie in dieser Sprache einen Brief hätten schreiben können. Deshalb verfassten sie ihre Briefe an die Familie, trotz des formellen Verbots, auf Polnisch, wobei die Militärbehörden oft ein Auge zudrückten oder gar Zensoren beschäftigten, die des Polnischen mächtig waren.

Papiere

Im Rahmen der Musterung wurde jeder Mann ärztlich untersucht, überdies wurde u. a. seine Staatsangehörigkeit geprüft. Besonders in den einverleibten Gebieten spielte Letzteres eine wichtige Rolle. In einem nächsten Schritt erhielt jeder einen Wehrpass (Bildausweis zur Erfassung des künftigen Militärdienstes). Zumeist erhielt man kurz darauf ein Schreiben mit der Information, bei welcher Einheit und wann man sich einzufinden hatte. In den meisten Fällen erhielt man eine solche Mitteilung recht zügig, manchmal betrug die Wartezeit aber auch bis zu einem Jahr.

Nach Ankunft in der Militäreinheit musste der Wehrpass bei der Militärverwaltung abgegeben werden. Dafür bekam der Soldat ein Soldbuch, das gleichzeitig als Ausweis diente und Informationen über den Verlauf des Wehrdienstes sowie die Soldzahlungen enthielt. Das Soldbuch, das jeder Soldat stets bei sich führen musste, gab ferner Aufschluss über die Ausrüstung des jeweiligen Soldaten (Waffe, Kleidung, Werkzeug usw.), über Aufenthalte im Krankenhaus, Urlaube sowie Auszeichnungen. Die Soldbücher der SS-Angehörigen und der Soldaten der Luftwaffe unterschieden sich in ihrer Form von denen der übrigen Formationen. Nach der Entlassung sollte das Soldbuch vorschriftsgemäß eingezogen und vernichtet werden und der ehemalige Soldat (oder die Angehörigen eines gefallenen Soldaten) sollte(n) seinen Wehrpass zurückerhalten. Nach der Kriegsniederlage Deutschlands behielten viele Soldaten ihre Soldbücher jedoch. Einige von ihnen brachten sie nach Kriegsende nach Polen mit, wo sie als Beweis für den abgeleisteten Wehrdienst dienten.

Überdies war jeder Soldat verpflichtet, am Hals eine Erkennungsmarke zu tragen – ein ovales Metallplättchen aus rostfreiem Stahl, in das eine individuelle Identifizierungsnummer des Soldaten und die Bezeichnung seiner Einheit eingestanzt waren. Fand man einen gefallenen Soldaten, wurde eine Hälfte der Erkennungsmarke an der Leiche belassen und die zweite Hälfte an die Angehörigen geschickt.

Henryk Jaksik

- Tarnowitz/Tarnowskie Góry

– Dachten Sie in den späteren Jahren an den Krieg zurück? ‒ Nein, nein, nein, höchstens an das Gefangenenlager in Frankreich. An den Krieg aber nicht… Keinen einzigen Schritt würde ich tun, um so etwas zuzustimmen: Menschen töten. Im Krieg tötet man ja Menschen. Sie müssen wissen, der Mensch wird dann zum Tier. Befehl ist Befehl…

Franciszek Kociok

- Alt Schalkowitz/Stare Siołkowice

An der Front habe ich niemanden getötet… Selbst beim Vormarsch nach Moskau, als die Offiziere von jedem von uns verlangten, einen Mann zu erschießen, habe ich gesagt: ‘Das mache ich nicht!’

Tod

Aus der deutschen in die polnische Armee

Die polnische Exilregierung in London vertrat den Standpunkt, dass die Einberufung polnischer Staatsbürger in die deutsche Wehrmacht rechtswidrig sei und sie erkannte die Erlangung der deutschen Staatsangehörigkeit durch die Eintragung in die Deutsche Volksliste nicht an. Hiernach sollten polnische Wehrmachtssoldaten, die in alliierte Gefangenschaft gerieten, wieder unter die polnische Gerichtsbarkeit zurückkehren und in die polnische Armee einberufen werden. Sie wurden weder als Verräter noch als Kollaborateure betrachtet, sondern als Menschen, die unter Zwang in die deutsche Wehrmacht eingezogen worden waren. Auch Großbritannien und die USA konnten von diesem Standpunkt überzeugt werden. Die erste Gruppe ehemaliger Wehrmachtssoldaten des deutschen Afrika-Korps wurde im Sommer 1943 in die Polnischen Streitkräfte im Westen aufgenommen.

Ein massenhafter Zustrom kriegsgefangener ehemaliger Wehrmachtssoldaten setzte nach der Eröffnung der Italien- und später der Normandie-Front ein. Natürlich hatten nicht alle Polen aus der Wehrmacht die Möglichkeit, die polnischen Streitkräfte zu erreichen. Dennoch stellten sie die größte Verstärkung sowohl für das an der Italienfront kämpfende 2. Polnische Korps als auch etwa für die an der Westfront eingesetzte I. Panzerdivision dar. Die aus der Wehrmacht kommenden Polen kämpften in allen Teilstreitkräften der polnischen Armee: im Heer, in der Kriegsmarine und der Luftwaffe. Im Juli 1945 machten ehemalige Angehörige der deutschen Wehrmacht über 89.000 (38%) von den 228.000 Soldaten der Polnischen Streitkräfte im Westen aus.

Anders gestaltete sich die Situation an der Ostfront. Zwar versuchte die Propaganda auch dort deutsche Soldaten zum Überlaufen zu bewegen, doch die meisten dieser Überläufer landeten in Gefangenenlagern. Von 60.000 polnischen Wehrmachtssoldaten, die desertierten oder in sowjetische resp. polnische Kriegsgefangenschaft gerieten, durften nur etwa 3.000 – 6.000 in die an der Seite der Roten Armee gebildete polnische Armee eintreten.

Polen in der Wehrmacht (1939–45)Polnische Streitkräfte im Westen (1939–45)Polnische „Volksarmee“ an der Roten Armee (1943–45)Heimatarmee AK
Geschätzte Stärke500 tys. (licząc tylko żołnierzy należących do trzeciej grupy DVL)300.000 (darunter 89.000 ehemalige Angehörige der deutschen Wehrmacht) 335.000 (darunter 3.000 – 6.000 ehemalige Angehörige der deutschen Wehrmacht) – Stand Mai 1945390.000 – Stand Sommer 1944

Bei den Polnischen Streitkräften im Westen

Den größten Einzug von ehemaligen Angehörigen der deutschen Wehrmacht verzeichneten die Polnischen Streitkräfte im Westen während des letzten Kriegsjahres, hauptsächlich in Italien und in Frankreich. In der Regel kamen die Soldaten, wie auch ihre deutschen Kameraden, zunächst in alliierte Kriegsgefangenenlager. Dort führten polnische Offiziere Rekrutierungsmaßnahmen durch. Diejenigen, die Interesse an einem Eintritt in die polnischen Streitkräfte zeigten, wurden für gewöhnlich in ein anderes Lager gebracht, wo der Verlauf ihres Kriegseinsatzes verifiziert wurde. Bei einem positiven Verifizierungsergebnis wurden sie, meist unter Berücksichtigung ihrer individuellen Fähigkeiten und Erfahrungen, polnischen Verbänden zugeteilt. So gingen ehemalige Panzergrenadiere zumeist in die 1. Panzerdivision, Pioniere in Pioniereinheiten usw. Den Soldaten wurden neue Ausweise mit fiktiven Namen ausgestellt, um sie im Falle einer deutschen Gefangennahme vor Erkennung und Erschießung als Deserteure zu schützen.

Eine Aufnahme in die Polnischen Streitkräfte im Westen bedeutete eine Verbesserung der Lebensbedingungen, vor allem in der letzten Kriegsphase, höheren Sold, bessere Lebensmittelversorgung usw.

Polen aus der deutschen Armee!

Text eines Flugblatts, das 1944 von General Marian Kukiel, Minister für militärische Angelegenheiten der polnischen Exilregierung, verfasst wurde.

Mit Gewalt wurdet ihr in die Reihen der Erzfeinde Polens hineingepresst, die Henkern gleich unser Volk quälen. Mit Gewalt wurde euch die deutsche Uniform aufgezwungen. Sie lassen euch gegen die Befreiungsarmeen der freien Völker kämpfen, die den Westwall der sog. „Festung Europa“ erstürmen. Gemeinsam mit Amerikanern, Briten, Kanadiern und Franzosen kämpfen dort auch unsere Polnischen Streitkräfte. Viele von euch haben bereits entsprechende Hinweise bekommen und wissen, was Polen von euch erwartet. Die Regierung der Republik Polen befiehlt euch: Schießt nicht auf eure Brüder – die Soldaten der alliierten Armeen. Wenn ihr schießen müsst – schießt daneben. Lauft bei der ersten euch sich bietenden Gelegenheit zu den Alliierten über oder versteckt euch und erwartet deren Ankunft. Gebt den Alliierten umfassende Informationen, wenn ihr mit ihnen in Kontakt kommt. Meldet unverzüglich, dass Ihr Polen seid, wenn ihr euch auf der Seite der Alliierten wiederfindet. Bittet um Separierung von den deutschen Gefangenen und um Kontaktaufnahme mit polnischen Militärbehörden. Eure Brüder, die zusammen mit unseren Verbündeten um die Befreiung kämpfen, erwarten euch. Hoch lebe Polen!

Gen. Władysław Anders

Verstärkung bekommen wir von der Front. Hinter uns steht kein Land, aus dem wir Verstärkung erhalten könnten, wir wissen aber, dass alle Polen, vor allem die unter Zwang in die deutsche Armee Eingezogenen, eine Aufnahme in unsere Reihen anstreben werden.

In der polnischen Armee nach dem Krieg

Einberufungen in die Polnischen Streitkräfte im Westen wurden noch über mehrere Monate nach Abschluss der Kriegshandlungen in Europa vollzogen. Im 2. Polnischen Korps in Italien wurden – in erster Linie auf Basis neuer Rekruten aus der Wehrmacht – Infanterieeinheiten ausgebaut und die Panzerbrigade wurde in eine Division umgewandelt. Ihren Bestand erhöhte auch die 1. Panzerdivision, deren Angehörige, die sich ebenfalls zu einem großen Teil aus ehemaligen Wehrmachtssoldaten rekrutierten, zwei Jahre lang im Nordwesten Deutschlands an der niederländischen Grenze als Besatzungsmacht eingesetzt waren. Bereits im Juli 1945 bemühten sich die Alliierten allerdings um eine Reduzierung der Einberufungen, als sich die Briten erstmalig einer Aufnahme von Polen aus der deutschen Wehrmacht in die alliierte Luftwaffe widersetzten.

So wie andere Angehörige der Polnischen Streitkräfte im Westen mussten sich auch die ehemaligen Wehrmachtssoldaten entscheiden, in die nun von Kommunisten regierte Heimat zurückzukehren oder in der Fremde zu blieben. Die meisten entschieden sich für die erstgenannte Option. Anders als die Heimatorte der Soldaten, die aus den polnischen Ostgebieten stammten, lagen ihre ursprünglichen Wohnorte in den Grenzen des neuen polnischen Staates. Zudem kannten die Einwohner Oberschlesiens und Pommerellens das kommunistische Regime noch nicht, auch hatten sie bis dahin keinerlei Repressalien vonseiten der Sowjets erfahren. Ende 1945 trafen die ersten Rückkehrer aus dem Westen ein, Anfang 1946 und im Frühjahr 1947 folgten die größten Rückkehrwellen, nachdem die Auflösung der Formationen beschlossen worden war. Viele ehemalige deutsche Soldaten polnischer Nationalität blieben dennoch im Westen. Zuerst traten sie in das Polnische Korps für Vorbereitung und Verteilung (Polski Korpus Przysposobienia i Rozmieszczenia) ein, in dem sie auf das Zivilleben vorbereitet werden sollten. In der Folgezeit ließen sie sich überwiegend in Großbritannien, Frankreich, den Benelux-Staaten und Kanada nieder.

Kriegsenden und Kriegsgefangenschaft

Für viele Wehrmachtssoldaten endete der Krieg mit der Kapitulation des Dritten Reiches, was jedoch nicht ihre sofortige Rückkehr in die Heimat nach sich zog. Für einige von ihnen stellte schon die Entlassung vom Frontdienst (zumeist infolge einer Verwundung; als glücklichsten Grund bezeichnete man den sog. Heimatschuss, eine leichte Schussverletzung, die einem die Ausreise in die Heimat ermöglichte) das eigentliche Kriegsende dar. Für andere endete der Krieg dagegen erst mit der Rückkehr von der Front, aus der Kriegsgefangenschaft oder nach einem monate- bzw. sogar jahrelangen Aufenthalt im besetzten Deutschland. Die Entscheidung über die Rückkehr in die Heimat war nicht in allen Fällen selbstverständlich. Oft bekamen ehemalige Soldaten über Monate keine Post oder Nachrichten von Zuhause. Folglich versuchten sie nicht selten, dort ein neues Leben zu beginnen, wo sie das Kriegsende erlebt hatten.

Aus amerikanischer und britischer Kriegsgefangenschaft wurden die ehemaligen Wehr-machtssoldaten relativ bald entlassen. Länger und von härterer Arbeit geprägt war hingegen die französische Gefangenschaft. Die schwersten Bedingungen herrschten aber in den sowjetischen Lagern, in denen die Kriegsgefangenen ihr Dasein oftmals unter unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen fristen mussten.

Heimkehr

Die ehemaligen deutschen Soldaten, die 1945 und in den Folgejahren nach Polen zurückkehrten, wurden mit einer für sie bisher unbekannten Realität konfrontiert. Sie zogen aus Deutschland in den Krieg und kehrten nach Polen zurück. Einige von ihnen (vor allem diejenigen aus den vor 1939 zu Deutschland gehörenden Gebieten) sprachen ein schlechtes oder gar kein Polnisch. Entschieden sie sich für den Verbleib in der Volksrepublik Polen, so lagen dem familiäre Motive und die enge Heimatverbundenheit zugrunde.

In einer neuen Realität

Ereignisse, von denen die Eroberung dieser Gebiete begleitet worden war (Zerstörungen, Vergewaltigungen, Morde, Festnahmen und Deportationen in die Sowjetunion), kannten sie daher hauptsächlich nur aus Berichten ihrer Familienangehörigen.

Eine gewisse Anzahl ehemaliger Wehrmachtssoldaten kehrte bereits im Spätfrühjahr 1945 nach Hause zurück, die Mehrheit kam jedoch erst zwei oder drei Jahre nach Kriegsende heim. Dabei handelte es sich um aus der Kriegsgefangenschaft entlassene Soldaten und Angehörige der Polnischen Streitkräfte im Westen. Nachdem sie Informationen über den Aufenthaltsort ihrer Familien eingeholt hatten, entschlossen sie sich zur Rückkehr aus Deutschland oder Großbritannien. Diejenigen jedoch, die in sowjetischen Lagern eingesperrt waren, kehrten zum Teil erst in den fünfziger Jahren nach Hause heim.

Viele der ehemaligen Soldaten wurden als Jugendliche einberufen und kehrten als reife Männer zurück. Nicht immer hatten sie die Möglichkeit und die Zeit, ihre (Schul)bildung fortzusetzen. Die allgemeine Lage in der Nachkriegszeit zwang sie häufig dazu, auf weiterführende Bildungsmaßnahmen zu verzichten und möglichst rasch eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, auch wenn diese unterhalb ihrer Qualifikationen lag. Für die ehemaligen Reichsbürger stellte die fehlende Kenntnis der polnischen Schriftsprache ein zusätzliches Hindernis dar. Ihr Leben nach dem Krieg beschränkte sich daher nicht selten auf die familiäre, berufliche und lokale Sphäre.

Verifizierung und Rehabilitierung

Die polnischen Behörden führten in den 1945 an Polen angeschlossenen Gebieten (die damals als „West- und Nordgebiete“ bezeichnet wurden) eine nationale Verifizierung durch. Dabei ging man von der Annahme aus, die einheimische Bevölkerung (Oberschlesier, Masuren, Ermländer) sei im Laufe der Geschichte teilweise germanisiert worden, allerdings bestehe noch die Möglichkeit, sie „für Polen wiederzugewinnen“. Auf Grundlage der Beherrschung der polnischen Sprache (zumeist mussten die Betroffenen polnische Gebete rezitieren), der Beurteilung politischer Aktivitäten vor 1945 (eventuelle Zugehörigkeit zur NSDAP, SA oder SS) sowie der „Einstellung gegenüber den Behörden der Volksrepublik Polen“ wurde entschieden, ob jemand als Pole anerkannt werden konnte und damit auch darüber, ob er in seiner Wohnstätte bleiben durfte. Es wurden überdies vorläufige Bescheinigungen ausgestellt, die jederzeit widerrufen werden konnten, wodurch viele Menschen in Unsicherheit leben mussten.

Die Einwohner der in das Dritte Reich einverleibten Gebiete, die in eine der vier Abteilungen der Deutschen Volksliste (DVL) eingetragen worden waren, mussten sich nach Kriegsende sogenannten Rehabilitierungsverfahren unterziehen. Ausgenommen davon waren allerdings Personen, die in Abteilung 1 der Deutschen Volksliste eingetragen waren; sie galten zwangsläufig als Deutsche und waren zur Aussiedlung bestimmt. Die Verfahren zogen sich bis 1950 hin und wurden erst mit einer in diesem Jahr verfügten Amnestieregelung abgeschlossen, mit der alle Einwohner der 1945 an Polen angeschlossenen Gebiete rehabilitiert wurden. Personen, die in die Abteilung 3 und 4 der DVL eingetragen worden waren, konnten mit einer vereinfachten Prozedur rechnen, während diejenigen, die der Abteilung 2 angehörten, eine Rehabilitierung nur auf dem viel längeren Rechtsweg anstreben konnten.

Der Leitgedanke für die Verifizierungs- und Rehabilitierungsaktion waren die Worte des kommunistischen Woiwoden von Schlesien, General Aleksander Zawadzki: „Wir wollen keinen einzigen Deutschen, aber wir geben auch keine einzige polnische Seele auf.“ Ob indes eine Person als Pole „rehabilitiert“ oder „verifiziert“ wurde, hing in Wirklichkeit nicht selten von der Willkür oder dem Wohlwollen des verantwortlichen Beamten ab.

Aus Sicht der heimkehrenden Soldaten war dies alles jedoch zweitrangig, insbesondere dann, wenn sie erst mehrere Jahre nach Kriegsende zurückkehrten. Obgleich die kommunistischen Behörden den ehemaligen deutschen Soldaten mit Widerwillen begegneten, wurden sie nicht grundsätzlich auf besondere Art und Weise schikaniert oder verfolgt. Einer systematischen Überwachung durch das Ministerium für öffentliche Sicherheit unterlagen bis 1955-56 insbesondere diejenigen, die auch bei den Polnischen Streitkräften im Westen gedient hatten.

Franciszek Niksza aus Owsiszcze über sein Versteck nach der Heimkehr aus dem Krieg

Worüber wurde nicht gesprochen?

Erinnerungen an die Zeit bei der deutschen Wehrmacht waren in der Volksrepublik Polen kein gern gesehenes Thema. Die meisten dieser ehemaligen Soldaten entschied sich daher, diese Zeit tief in ihrem Gedächtnis zu vergraben. Aus pragmatischen Gründen, aus Angst um ihre Zukunft in der neuen Realität (Arbeitsplatzverlust, eventuelle Probleme der Kinder in der Schule u. Ä.) oder auch aufgrund von Kriegstraumata haben viele entweder nichts oder kaum etwas von ihren Kriegserlebnissen erzählt. Die Vergangenheit wurde nicht selten vor den eigenen Kindern und Verwandten geheim gehalten oder nur oberflächlich thematisiert. Nicht allgemein bekannt war, dass beispielsweise Tony Halik, Wilhelm Szewczyk und Karol Musioł (Letzterer war Ideengeber des Song-Festivals in Oppeln) Wehrmachtssoldaten gewesen waren. Nur im Kreise der Altersgenossen oder der nächsten Nachbarn wurde das Thema ab und zu angesprochen. Präsent war es jedoch ausschließlich auf der Ebene der privaten Erinnerung der Erlebnisgeneration, konnte aber nicht Teil des offiziellen Narrativs sein. Im letzteren nahm lediglich das Motiv der „zwangsweise einberufenen Polen“, die jede Gelegenheit genutzt hätten, um zu desertieren, einen festen, auch wenn nicht allzu bedeutenden Platz ein. In dieser Form wurde das Problem in wenigen Filmen geschildert, die das Thema anschnitten, wie z. B. Der Deserteur (1958) oder in der Fernsehserie Vier Panzersoldaten und ein Hund (1966).

Kazimierz Brandt, Watzmirs/Waćmierz bei Dirschau/Tczew, Pommerellen

Ich kann mich an keine Situation erinnern, in der mir jemand Vorwürfe wegen meines Dienstes bei der deutschen Wehrmacht gemacht hätte. Ich glaube, hier in Pommerellen hätte man einen einfach ausgelacht, wenn er solche Vorwürfe gemacht hätte. Man hätte darauf erwidert: „Du warst nicht dabei? Wo warst du dann?“

Magdalena Mientus, Tochter eines Wehrmachtssoldaten, Alt Schalkowitz/Stare Siołkowice, Oberschlesien

Heutzutage kann man über alles sprechen. Aber über Jahre hinweg durfte niemand etwas sagen. Deswegen ist die Erinnerung bei einigen Personen allmählich verblasst; sie hatten Angst. Sie haben einige Erinnerungen bewusst aus ihrem Gedächtnis verdrängt, sie wollten lieber alles vergessen. Erst heute kommt die Wahrheit ans Tageslicht… Was wissen wir eigentlich über unsere Väter? Nichts! Kaum etwas!

Sie dachten, wir wären Hitlers Soldaten. Gerhard Ogiermann aus Pilchowice in Oberschlesien.

Jerzy Dudek aus Ruda Śląska über die „Überwachung“ der Polizei nach dem Krieg

„Zwangsweise einberufene Polen“

„Der wahre Kloss lebt in Ortelsburg/Szczytno“ – Ausschnitte aus einem Pressebeitrag über Emil Leyk. Witold Nawik, Der wahre Kloss lebt in Ortelsburg/Szczytno in: „Argumenty. Tygodnik Społeczno-Kulturalny“ Nr. 42 (593) K. 13, 19. Oktober 1969

Seit einiger Zeit kursieren verschiedene Gerüchte darüber, dass irgendwo in Masuren ein Mensch lebt, der die Filmvorlage für Hauptmann Kloss darstellte. […] Dieser Mann verkörpert das dramatische Schicksal der Masuren, steht für ihre Unbeugsamkeit und ist ein Symbol des masurischen Polentums. Daher sollte sein Name im gleichem Atemzug mit den Namen derjenigen genannt werden, die im Untergrund oder in Partisanenverbänden den ewigen Kampf gegen die Germanisierung fortsetzten, und in das Ehrenbuch des Kampfes des masurischen Volkes für das Polentum eingetragen werden. […]

Am 29. Juli 1940 wurde der Leutnant der Reserve, Emil Leyk, zum aktiven Wehrdienst einberufen und zwei Wochen später zum Oberleutnant befördert. Er bekam eine Zuweisung für die Abteilung für Rüstung und Kriegswirtschaft beim Oberkommando der Wehrmacht. Damit kam er in das Zentrum des nationalsozialistischen Tiegels der Aggression und Eroberung. […] Im Mai 1941 wurde Oberleutnant Emil Leyk zum Kriegswirtschaftskommando Saloniki entsandt und zum stellvertretenden Chef dieser Stelle ernannt, die die gesamte auf Kriegsproduktion umgestellte griechische Industrie beaufsichtigte. […] Eines Tages bat ihn ein Grieche um einen kleinen Gefallen. Er benötigte eine Bescheinigung, um sich während der Ausgangssperre frei in der Stadt bewegen zu dürfen. Am nächsten Tag überreichte ihm Leyk eine solche Bescheinigung mit Blankounterschrift. Auf diese Weise kam er in Kontakt mit Angehörigen der griechischen Widerstandsbewegung. […] Anfangs waren das keine beeindruckenden Nachrichten- und Sabotageaktionen, wie man sie aus den Filmen über Kloss kennt. Leyk ist Kloss jedoch in einem überlegen: Es hat ihn tatsächlich gegeben. Und das gefährliche Spiel, auf das er sich einließ, war real.

Die vergessene Vergangenheit entdecken

In der Volksrepublik Polen wurde nicht nur die Existenz einer deutschen Minderheit in den kulturellen Grenzgebieten (Oberschlesien und Pommerellen), sondern auch einer deutschen Tradition und Kultur dort offiziell geleugnet. Die ersten, damals noch illegalen Initiativen zum Gedenken an die Gefallenen mitsamt dem Aufstellen von Denkmälern auf Friedhöfen oder an Kirchen entstanden daher erst Mitte der 1980er Jahre. Mit dem Beginn der 90er Jahre konnten ähnliche Initiativen endlich offiziell aufgegriffen werden. Einzelne Gemeinschaften errichteten beispielsweise Gedenktafeln mit den Namen ihrer Angehörigen, die während des Zweiten Weltkrieges als Soldaten den Tod fanden.

Nach dem Krieg fanden groß angelegte Umbettungsaktionen der sterblichen Überreste deutscher Soldaten statt, die ursprünglich an zufälligen Orten, in Wäldern oder auf Feldern begraben worden waren. Die Leichname wurden zunächst in Massengräber umgebettet, später auf neu angelegten Kriegsfriedhöfen wieder bestattet. Nicht in allen Fällen jedoch wurden die Identifizierung der sterblichen Überreste der Soldaten und die Dokumentation der Exhumierungen in angemessener Art und Weise durchgeführt.

In den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts begannen diverse Laienhistoriker unabhängig voneinander, die Erzählungen der noch lebenden Soldaten in verschiedenen polnischen Städten und Ortschaften zu entdecken. Meistens setzten sie sich zu Beginn mit der eigenen Familien- bzw. der lokalen Geschichte auseinander, indem sie versuchten, Näheres über das Schicksal ihrer vermissten oder gefallenen Väter und Großväter zu erfahren. Zum Gegenstand einer nationalen Debatte wurde dieses Thema 2005, als der damalige Sejm-Abgeordnete Jacek Kurski von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) dem Präsidentschaftskandidaten Donald Tusk vorhielt, sein Großvater habe in der deutschen Wehrmacht gedient (in der Tat wurde Józef Tusk nach der Entlassung aus deutschen Gefängnissen und Konzentrationslagern einberufen und war für wenige Monate, bis August 1944, deutscher Soldat). Paradoxerweise führte diese Episode des Wahlkampfes zu wachsendem Interesse an dieser Problematik, sodass das Thema zumindest ansatzweise in das kollektive Bewusstsein eingedrungen ist.

Hier ist mein Zuhause – Ausschnitt aus einem Presseartikel über Alfons Morgalla, „Nowiny Gliwickie“ 1998

Viele von uns können erst jetzt das Los der Oberschlesier in den dreißiger und vierziger Jahren begreifen. Nach vielen Jahren erweist sich heute, dass etwa der alte Nachbar als Soldat der deutschen Wehrmacht oder der deutschen Luftwaffe an den Fronten des Zweiten Weltkrieges gekämpft hat. Noch vor einiger Zeit verbargen diese Menschen lieber ihre Vergangenheit, um sich vor böswilligen Bemerkungen oder der Rache der Familien zu schützen, die vonseiten der Nationalsozialisten Leid erlitten hatten, bzw. um sich selbst oder den eigenen Kindern den Weg zum beruflichen Aufstieg nicht zu versperren. Morgalla nahm an Luftangriffen gegen Ziele an nahezu allen Fronten im Westen und im Osten Europas teil. In Sizilien wurde er verwundet.
Nachdem er genesen war, wurde er nach Nordafrika versetzt. […] Nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands wurde er in Tschechien zusammen mit anderen Soldaten von den Alliierten der sowjetischen Militärführung übergeben. Von dort ging es mit einem Eisenbahntransport in sowjetische Gefangenschaft. In einem sowjetischen Gefangenenlager verbrachte er fünf Jahre. In dieser Zeit war er als Schmied tätig, überdies arbeitete er in einer Kolchose und reinigte Latrinen. […]

Über seine Erlebnisse erzählte Alfons niemandem etwas. Die einzigen Andenken aus seiner Jugendzeit stellen alte Fotografien dar. Manchmal schaut er sich sein Bild an, auf dem er als Unteroffizier der Luftwaffe zu sehen ist. Bis heute kennt er technische und taktische Daten der Flugzeuge aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges auswendig. Einer Ideologie habe er nie gedient, sagt er, weder der nationalsozialistischen noch der kommunistischen. Während des Krieges sei er einfach ein Soldat gewesen, der zum Wehrdienst einberufen worden sei.

Blasius Hanczuch aus Oberschlesien erinnert sich an die Repressionen, die mit der Pflege der Gräber deutscher Soldaten in den 1980er Jahren verbunden waren

Irena Urbiczek aus Kochlowice in Oberschlesien erzählt, wie sie sich für die Geschichte ihres Onkels Leon zu interessierten begann und beschloss, sein Grab in Russland zu finden

Er sagte, man darf nie auf einen Menschen zielen. Wiktor Marek Leyk spricht über seinen Vater Emil Leyk aus Szczytno in Masuren

Krzysztof Palanecki aus Oberschlesien erinnert sich an die Kriegsgeschichten seines Großvaters, Jerzy Różański, die er als Kind gehört hatte

Der Schriftsteller Szczepan Twardoch aus Pilchowice spricht über seine Familiengeschichte und die Einstellung der Schlesier zum Dienst in der Wehrmacht

Brunon Dzięcielski: Ich habe dich nicht belogen, ich habe Dir nur nicht die Wahrheit gesagt.

Ich wollte den Kindern nicht die Wahrheit sagen. Das waren doch kommunistische Zeiten, ich wollte nicht, dass man in ihrer Schule erfahren könnte, dass ihr Vater bei der deutschen Wehrmacht gewesen war, ich wollte nicht, dass sich die Leute denken könnten, ich sei vielleicht ein Deutscher… Dabei waren wir doch Polen. Wir konnten das nicht ertragen. Nach 50 Jahren erfuhr meine Regina die Wahrheit: »Jesus Maria, du hast mich belogen!«. Ich sagte: »Ich habe dich nicht belogen, ich habe dir nur nicht die Wahrheit erzählt. Denn was würdest du sonst in der Schule erlebt….«

Gespräch mit einem Protagonisten aus Tost/Toszek in Oberschlesien: der Mensch muss Mensch bleiben.

In Deutschland kam ich zur Welt, dort ging ich zur Schule und habe bei der Armee gedient. In Polen habe ich gearbeitet und ich war mit meiner Arbeit zufrieden, denn die Leute haben mich als Fachmann respektiert, ich kann mich nicht beschweren. Mir ist kein Leid zugefügt worden. Der Mensch muss einfach ein Mensch sein.

Gerhard Ogiermann: hundertprozentiger Oberschlesier

Ich habe immer gelacht, weil ich stets gefragt wurde, warum ich so gut Deutsch spreche. Ich pflegte darauf zu antworten: »Als ich klein war, kaufte mir meine Mutter deutsche Hemden, deutsche Schuhe und deutsche Mützen. Ich war also deutsch angezogen. Als ich aber 1947 aus dem Krieg zurückkam, kaufte ich mir auf dem Markt ein Jackett, ein polnisches Jackett. Von da an trug ich unten ein deutsches Hemd und oben ein polnisches Jackett und war somit hundertprozentiger Oberschlesier«.

Alfons Wieczorek aus dem Ermland über die deutsche Identität

Ich halte mich für einen Deutschen. Aber wenn man in einem Land ist, dann muss man so leben wie andere. Da muss man auch mit den Menschen Kontakt haben.

Leopold Josiek über seine Heimatregion, das Teschener Schlesien

Ich fühle mich als Schlesier. Es gibt das Teschener Schlesien, es gibt Oberschlesien – Schlesien ist es auf jeden Fall und ich bin auf jeden Fall ein Schlesier. Hier fühle ich mich zu Hause.

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